The hot Härdöpfel

The hot Härdöpfel

Es gibt diese Aufgaben, die so unangenehm sind, dass man sie am liebsten mit einer Grillzange anfasst und weit, weit wegschiebt. In der Schweiz sagen wir dazu: Den heissen Härdöpfel weitergeben. Und ich schwöre, ich habe schon Härdöpfel gesehen, die seit Jahren in einer unsichtbaren Pfanne zwischen Menschen hin- und herhüpfen, ohne dass sich je jemand die Mühe gemacht hätte, sie zu schälen.

Der Klassiker im Elternhaus: Wer sagt dem Grossvater, dass er vielleicht nicht mehr Autofahren sollte? Alle wissen, es ist gefährlich. Alle hoffen, jemand anderes macht es.

An Sitzungen: Ein Konzept ist von Anfang an schlecht durchdacht. Alle spüren es, alle verdrehen innerlich die Augen. Aber keiner wagt es, offen zu sagen: „Das funktioniert so nicht.“ Stattdessen diskutiert man in der dritten Runde über Schriftarten und Logos. Der Härdöpfel liegt mitten auf dem Tisch und dampft wie ein Gulaschtopf.

Im Verein: Die Jahresrechnung weist ein fettes Minus aus. Man müsste dringend die Mitgliederbeiträge erhöhen. Doch keiner will derjenige sein, der das vorschlägt. Also wird diskutiert, ob man vielleicht nächstes Jahr das Kuchenbuffet am Dorffest etwas teurer machen könnte. Der Härdöpfel brennt weiter.

In der Politik: Ein Entscheid ist bitter nötig, aber unpopulär. Alle wissen, es muss sein. Doch jeder schaut auf die nächste Wahl und denkt: Bitte, lass jemand anderes den Härdöpfel schälen.

Manchmal, seien wir ehrlich, wird der Härdöpfel so oft hin- und hergeworfen, dass er sich in etwas völlig Neues verwandelt. Aus einer einfachen Entscheidung wird ein zehnseitiger E-Mail-Thread mit CC an die halbe Belegschaft. Aus einer kurzen Ansage wird ein Drei-Monats-Projekt mit vier Workshops, PowerPoint und anschliessender Evaluation. Nur weil niemand am Anfang einfach das Messer genommen und das Ding geschält hat.

Manchmal muss man den Mut haben, den heissen Härdöpfel in die Hand zu nehmen – ja, er brennt kurz. Ja, man macht sich vielleicht nicht beliebter. Aber wisst ihr was? Danach ist Ruhe. Keine endlosen Sitzungen, kein Ping-Pong, kein «wir müssen das nochmals besprechen».

Also, liebe Leute: Packt den scheiss Härdöpfel und schält ihn! Er schmeckt am Schluss meistens besser, als ihr denkt.

Rücksichtslos sind immer die anderen

Rücksichtslos sind immer die anderen

Immer mehr Menschen sagen: „Die Rücksichtslosigkeit nimmt zu.“ Das Vertrauen in das „Wir“ sinkt tendenziell. Menschen fühlen sich häufiger alleingelassen, überfordert oder enttäuscht von anderen.

Gleichzeitig zeigen Umfragen, dass viele Menschen von sich selbst glauben, sehr rücksichtsvoll zu sein. Fazit: Die anderen sind schuld.

Hier geht etwas offensichtlich nicht auf. Leiden wir etwa an einer Wahrnehmungsverzerrung? Oder hat sich unsere Welt einfach so verändert, dass Rücksicht schwieriger geworden ist? 

 

Zwischen Dichte- und Dauerstress

Vielleicht sind wir gar nicht rücksichtsloser – sondern nur erschöpfter und reizüberfluteter.

An Bahnhöfen, in vollen Zügen, auf Wanderwegen, in Altstädten – überall dort, wo viele Menschen auf engem Raum zusammentreffen, steigt das Konfliktpotenzial. Je dichter es wird, desto leichter geraten wir einander sprichwörtlich auf die Füsse – und desto weniger Geduld bringen wir mit.

Hinzu kommt: Der Alltag ist vollgetaktet. Wer ständig unter Strom steht – ob durch Überlastung, Lärm, News-Ticker, To-do-Listen oder Dauerverfügbarkeit – hat weniger Energie für das Gegenüber.

Gleichzeitig scheint unsere Sensibilität für Störungen gestiegen zu sein: Geräusche, Verhalten, Sprache – vieles, was früher einfach hingenommen wurde, wird heute als übergriffig oder respektlos erlebt. Das ist kein Rückschritt, sondern auch ein Ausdruck von gewachsener Aufmerksamkeit für Grenzen und Bedürfnisse. Aber es führt zu mehr Reibung – besonders, wenn sich zwei verschiedene Selbstverständlichkeiten gegenüberstehen.

Rücksicht ist heute nicht einfacher, sondern anspruchsvoller.

 

Tourismus: willkommen, aber bitte rücksichtsvoll

Ein sehr aktuelles Beispiel: der Tourismus.

Die einen kommen zum Spass und zur Erholung. Die anderen leben dort – arbeiten, pendeln, sorgen für Infrastruktur, Ordnung und Sicherheit. Wenn Wanderwege zur Müllhalde werden und private Grundstücke zur Selfie-Zone, ist Rücksicht keine Kür mehr, sondern bitter nötig. Kommt auch noch die Blechpest hinzu, wird aus Idylle Stillstand: verstopfte Strassen, zugeparkte Gehwege, genervte Gesichter.

Was fehlt, ist das gegenseitige Bewusstsein: Dass die eigene Auszeit nicht auf Kosten anderer gehen darf. Und dass Einheimische keine Statisten in einer touristischen Inszenierung sind. Umgekehrt erleben Touristen das genervte Stirnrunzeln der Einheimischen als unnötig ablehnend – "Warum macht ihr Werbung für eure Region, wenn ihr wollt, dass niemand kommt?“

Es braucht gegenseitiges Verständnis. Der Blick für das Leben der anderen. Für die unterschiedlichen Kontexte.

Der eine will entspannen, der andere zur Arbeit.

Der eine fotografiert die Idylle, der andere lebt mitten in ihr – mit Müllentsorgung, Schulweg und Stau.

 

Was ist eigentlich passiert?

Vielleicht erleben wir heute nicht mehr Rücksichtslosigkeit – sondern mehr Situationen, in denen Rücksicht gefordert wäre.

Unsere Gesellschaft ist vielfältiger, dichter, hektischer geworden. Öffentliche Räume werden von immer mehr Menschen auf immer unterschiedlichere Weise genutzt.

Vielleicht stimmt es: Die Rücksichtslosigkeit nimmt zu.

Vielleicht stimmt auch gleichzeitig das Gegenteil: Wir sind empfindlicher geworden.

Am wahrscheinlichsten aber ist: Wir befinden uns in einer Zeit, in der das Miteinander neu verhandelt wird.

Warum schlechte Beziehungen uns allen schaden – und gute Beziehungen Gold wert sind

Warum schlechte Beziehungen uns allen schaden – und gute Beziehungen Gold wert sind

Wir kennen es alle: Eine schlechte Beziehung kann unser Leben vergiften. Ob in einer Ehe, in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz – Misstrauen, Missgunst oder Groll ziehen Energie ab, zerstören Lebensqualität und wirken sich sogar auf Gesundheit und Wohlstand aus.

Doch im Kleinen wie im Grossen gilt: In der Politik sind die Folgen noch gravierender. Schlechte Beziehungen zwischen politischen Akteuren führen zu unmittelbaren Nachteilen für die Bevölkerung.

  • Gemeindeübergreifende Projekte bleiben stecken.

  • Notwendige Kooperationen scheitern.

  • Wir müssen teurer importieren, werden von Leistungen ausgeschlossen – im schlimmsten Fall eskaliert es bis zum Krieg.

Schlechte politische Beziehungen sind eine der stillen, aber wesentlichen Ursachen für gesellschaftliches Leid.

Darum mein Appell: Wir müssen wieder mehr in gute Beziehungen investieren – bewusst und langfristig. Denn gute Beziehungen bedeuten Fortschritt, Sicherheit, mehr Möglichkeiten, Effizienz und sogar Frieden.

  • Auf einer guten Basis sind Wege kurz und unbürokratisch.

  • Anliegen werden wohlwollender geprüft.

  • Kompromisse entstehen leichter.

  • Selbst Streit kann konstruktiv verlaufen – man bleibt im Gespräch, selbst wenn man nicht einer Meinung ist.

Ein Konflikt auf Basis einer schlechten Beziehung endet dagegen oft im Bruch. Und leider gibt es immer Kräfte, die genau darauf hinarbeiten – aus Egoismus, Machtgier oder schlicht aus irrationalen Gründen. Das schadet uns allen.

Unterschätzt nie die Macht einer guten Beziehung.
Sie ist kein „Nice-to-have“, sondern die Grundlage dafür, dass wir als Gesellschaft funktionieren – im Kleinen wie im Grossen.

Nicht das Familienmodell ist das Problem. Sondern das System.

Nicht das Familienmodell ist das Problem. Sondern das System.

Unsere Gesellschaft hat sich verändert. Und das ist gut so.
Rollenbilder werden hinterfragt, neue Lebensentwürfe ausprobiert, alte Muster aufgebrochen. Immer mehr Frauen machen Karriere, immer mehr Männer übernehmen Care-Arbeit. Vielfalt ist gewachsen – aber mit ihr auch die Tendenz, einander zu bewerten. Zu sagen, was richtig ist. Und was falsch.

Wer heute als Mutter zu Hause bleibt, wird schnell belächelt. Wer früh wieder arbeiten geht, wird genauso kritisiert. Wer Glück hat und einen Kitaplatz bekommt - also die Kinder fremdbetreuen lässt - muss sich erklären. Wer sie selbst betreut, ebenfalls.
So tun, als ob es nur ein richtiges Familienmodell gäbe – das war früher so. Und scheint heute wieder en vogue zu sein. Nur mit umgekehrtem Vorzeichen.

Aber ganz ehrlich: Nicht das traditionelle Familienmodell ist das Problem. Sondern das System, das es bestraft.

Denn was ist heute die Realität?
Wer sich entscheidet, zu Hause die Kinder zu betreuen – meist die Frau –, gerät oft in eine finanzielle Abhängigkeit, die später in Altersarmut münden kann. Und das, obwohl genau diese unbezahlte Arbeit unsere Gesellschaft überhaupt erst am Laufen hält.

Gleichzeitig wird es für viele Familien immer schwieriger, sich überhaupt zu entscheiden. Die Wahrheit ist: Viele Paare müssen heute beide hochprozentig arbeiten, um über die Runden zu kommen. Wer das nicht tut – oder nicht tun kann – zahlt drauf: finanziell, karrieretechnisch, fürs Alter. Vor allem Frauen. Der Druck kommt von allen Seiten: vom Arbeitsmarkt, von der Steuerpolitik, von der Rentenlogik.

Gleichzeitig wird es Müttern oft schwer gemacht, nach der Geburt wieder einzusteigen. Aber sie tun es, weil sie wissen: Wenn sie nicht sofort zurück in den Job gehen, sind sie raus. Und im schlimmsten Fall später auf sich allein gestellt – ohne Absicherung, ohne Rente. Wer nach der Geburt nicht schnell wieder arbeitet, verliert nicht nur den Anschluss, sondern auch die Absicherung.

Wenn beide Elternteile voll arbeiten, steht oft keine bezahlbare, gute Betreuung zur Verfügung. Das ist kein freies System – das ist ein Zwangskorsett.

Wir brauchen keinen Kulturkampf um das richtige Leben.
Was wir brauchen, ist ein System, das Care-Arbeit ernst nimmt. Das Eltern ermöglicht, frei zu entscheiden – ohne Druck, ohne Schuldgefühle, ohne Nachteile.

Ich bin überzeugt: Wir brauchen ein System, das Wahlfreiheit ermöglicht – ohne Risiko, ohne Reue.
Ein System, das nicht bestimmte Modelle belohnt oder andere bestraft, sondern Eltern dort unterstützt, wo sie sind.
Tatsache ist, dass man sich heute nicht wirklich frei entscheiden kann.